Russland-EU: Wie steht es um die Gesundheit des Atomgiganten Rosatom, der in einer No-Go-Zone liegt, gegen die keine Sanktionen verhängt werden können? (Quelle: fdd.org) |
Bevor Europa das elfte Sanktionspaket auf den Tisch legte, galt der russische Atomenergieriese Rosatom erneut als unvermeidliches Ziel westlicher Sanktionen. Die Hardliner in der Russland-Frage wollen schon lange Druck ausüben, der sich gezielt gegen die Atomindustrie des Landes richtet.
Gespalten, aber nicht konfrontativ
Seit Moskau im Februar 2022 eine spezielle Militäroperation in der Ukraine gestartet hat, hat die EU zehn Sanktionspakete gegen russische Einzelpersonen und Unternehmen eingeführt. Eine wachsende Zahl von EU-Vertretern und Diplomaten räumt ein, dass der Union die Sanktionen gegen Russland ausgehen, die in Zukunft auf den Verhandlungstisch gebracht werden könnten, in der Hoffnung, einen Konsens zwischen allen Mitgliedstaaten zu finden.
Viel „Spielraum“ ist in den umfangreichen Sanktionen nicht mehr vorhanden, doch die nächste Sanktionsrunde der EU wird sich nach Aussage der Präsidentin der Europäischen Kommission (EK), Ursula von der Leyen, auf die Bekämpfung der Umgehung bestehender Beschränkungen konzentrieren, insbesondere auf den Verkauf von Ersatzteilen und Ausrüstung, die Moskau im militärischen Konflikt mit der Ukraine einsetzen könnte.
Osteuropäische Diplomaten sagten jedoch, dies gehe „noch immer nicht weit genug“ und das 11. Sanktionspaket müsse radikaler sein.
Polen hat gemeinsam mit gleichgesinnten baltischen Staaten der EU einen aktualisierten Vorschlag für neue Sanktionen gegen Russland vorgelegt. Seit dem vergangenen Frühjahr hat die Gruppe auch Maßnahmen gegen Russlands zivile Nuklearkapazitäten vorgeschlagen, die bislang jedoch wirkungslos blieben. Der aktualisierte Vorschlag zielt darauf ab, den staatlichen russischen Atomenergiegiganten Rosatom erneut ins Rampenlicht der Sanktionen zu rücken.
Die vier Mitgliedstaaten erklärten, die EU könne Rosatom gezielt angreifen, indem sie die Einfuhr von Kernbrennstoffen beschränke, neue Investitionen in Kernkraftwerke stoppe und den Export von Gütern und Ausrüstung für die Industrie nach Russland beschränke. Der erste Schritt, so sagen sie, könnte darin bestehen, die Topmanager des Unternehmens ins Visier zu nehmen.
Zudem schlagen die Länder, die die Sanktionen unterstützen, diesmal statt eines vollständigen Verbots von Produkten und Dienstleistungen von Rosatom differenziertere restriktive Maßnahmen vor. Dazu gehören Ausnahmen für EU-Atomunternehmen mit bestehenden Verträgen mit Rosatom oder die Anwendung von Sicherheitsvorkehrungen, um eine Abhängigkeit von russischen Atomprodukten zu verhindern.
Zusätzlicher Druck auf Rosatom könnte auch von westlichen Partnern wie den USA und Großbritannien ausgehen, die bereits in diese Richtung gegangen sind und noch schärfere Beschränkungen anstreben, die den russischen Atomsektor direkt treffen würden. Seit Rosatom die Kontrolle über das Kernkraftwerk Saporischschja im Südosten der Ukraine übernommen hat, sind Europa und der Westen zunehmend „ungeduldig“ geworden.
Washington hat zudem kürzlich zusätzliche Sanktionen gegen mehr als 120 Ziele verhängt und damit die Aktivitäten russischer Einzelpersonen und Unternehmen aufgrund des Konflikts in der Ukraine weiter verschärft, darunter auch Unternehmen mit Verbindung zu Rosatom. Allerdings hat Washington bislang keine Sanktionen gegen Rosatom selbst verhängt.
Der stärkste Widerstand gegen Sanktionen gegen das russische Atomprogramm kommt inzwischen aus Osteuropa. Von 5 Mitgliedsstaaten, darunter die Republik Korea. Die Tschechische Republik (6), die Slowakei (5), Finnland (2) und Bulgarien (2) betreiben 15 Atomreaktoren russischer Bauart und verfügen derzeit über keinen alternativen Brennstoff aus russischen Lieferungen.
Während die Slowakei eigenen Angaben zufolge nur noch bis Ende 2023 über genügend Kernbrennstoff verfügt, könnte das russische Importverbot langfristig zu einem Problem werden.
Ungarn ist ein Sonderfall: Das Land ist nicht nur eng mit der russischen Energie verbunden, sondern unterhält auch enge Beziehungen zu Rosatom. Budapest hat sich daher wiederholt gegen den Ausstieg aus der russischen Atomenergie ausgesprochen und Verantwortliche von Rosatom auf die Sanktionsliste gesetzt. Zuvor hatte Ungarn zudem bekräftigt, dass es sich im Jahr 2022 nicht an den EU-Sanktionen gegen russische Öl- und Gasimporte beteiligen werde.
Als in Europa im Februar 2023 das 10. Sanktionspaket diskutiert wurde und Rosatom und seine Führung ins Visier genommen werden sollten, erhob Budapest sofort heftigen Widerstand und erklärte, es müsse entschieden gegen die EU-Sanktionen vorgehen.
Der ungarische Außenminister Peter Szijjártó machte deutlich, dass Sanktionen gegen Rosatom nicht nur Ungarns grundlegende nationale Interessen schädigen würden, sondern auch eine Bedrohung für die globale nukleare Sicherheit darstellten. Denn Rosatom ist einer der weltweit wichtigsten Akteure im Atomenergiesektor und beliefert Atomkraftwerke in vielen Ländern mit Brennstoff.
Anfang April besuchte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto Moskau, um neue Energieabkommen mit Russland abzuschließen und einer Änderung des Vertrags mit Rosatom zur Erweiterung des Kernkraftwerks Paks zuzustimmen.
Neben den osteuropäischen Ländern, die zögern, den russischen Atomenergiesektor in das neue Sanktionspaket einzubeziehen oder nicht, haben auch Deutschland und Frankreich im Jahr 2022 angereichertes Uran im Wert von 452 Millionen Euro von Russland gekauft.
Allerdings hat Deutschland nun signalisiert, dass es den EU-Sanktionen gegen russischen Atombrennstoff zustimmen wird. Da die aktuellen Verträge für Frankreich und Deutschland weiterhin bindend sind, haben Polen und einige baltische Mitglieder eine Frist von zwei Jahren für Berlin und Paris vorgeschlagen.
Rosatom kann nicht bestraft werden?
Die Antwort auf die Frage, warum Rosatom nicht auf der westlichen Sanktionsliste steht, ist laut Energieexperten einfach.
Tatsächlich zieht Russland aus dem Export von Atombrennstoffen nur einen geringen finanziellen Nutzen, doch die Konzentration auf wichtigere Infrastrukturgeschäfte, darunter den Bau von Reaktoren in der EU, hat dem Kreml beträchtliche Finanzmittel eingebracht.
Öffentlichen Angaben zufolge liefert Russland derzeit außerdem etwa 20 Prozent der Materialien, die für den Betrieb der EU-Atomreaktoren benötigt werden. Deshalb ist es keine leichte Aufgabe, Rosatom als Kernbrennstofflieferant zu ersetzen und wird viel Zeit in Anspruch nehmen.
Auch deshalb kann der Westen nicht unmittelbar Wirtschaftssanktionen gegen Rosatom verhängen, obwohl das Unternehmen zu den wichtigsten Geldgebern Moskaus zählen dürfte.
Der Umsatz von Rosatom stieg im vergangenen Jahr um 17 %. Rosatom-CEO Alexei Likhachev sagte, dass der Konzern im Jahr 2022 einen Umsatz von mehr als 1,7 Billionen Rubel erwirtschaftet habe. Auch in diesem Jahr beliefen sich Rosatoms eigene Investitionen auf mehr als eine Billion Rubel.
Rosatom gab in seinem Jahresbericht die Höhe der Ausgaben für das Investitionsprogramm 2021 nicht bekannt und stellte lediglich fest, dass Rosenergoatom, ein Unternehmen, das die Kernkraftwerke von Rosatom in Russland verwaltet, sein Investitionsprogramm im Jahr 2021 zu 105,5 % abgeschlossen hat.
Unterdessen stiegen laut technology.org in einer unabhängigen Untersuchung von Bloomberg und dem britischen Defence and Security Research Institute (RUSI) die Verkäufe und Exporte von Kernbrennstoffen von Rosatom im Jahr 2022 um 20 % und erreichten damit einen Dreijahreshöchststand für den EU-Markt.
Tatsächlich macht der nach Osteuropa verkaufte Kernbrennstoff nur 40 Prozent der Gesamtexporte von Rosatom aus. Nicht nur die EU-Länder kaufen Kernbrennstoff aus Russland, auch in den USA verwenden etwa 20 Prozent der Kernreaktoren Brennstoff, der aus derselben russischen Quelle gekauft wird.
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